Arbeitspsycholog:innen im Kontext von BGM

Ein wichtiger Aspekt der Nationalen Strategie ist die Vernetzung von relevanten Stakeholdern. Vor diesem Hintergrund ist im Arbeitsprogramm der Nationalen Strategie für das Jahr 2024 ein Austausch mit den Berufsverbänden der Präventivdienste vorgesehen. Ziel des gemeinsamen Austausches ist in einem ersten Schritt die Sicht- und Arbeitsweise dieser Expert:innen im Kontext des Betriebliches Gesundheitsmanagements in Österreich besser zu verstehen und gemeinsame Zugänge zu identifizieren. In diesem Zusammenhang haben wir mit dem "Verband Österreichischer Sicherheits-Experten", der "Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin", dem "Berufsverband Österreichischer PsychologInnen" und der "Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen" ein kurzes schriftliches Interview geführt. An dieser Stelle präsentieren wir Ihnen das Interview mit Frau Mag.a Andrea Birbaumer, ihres Zeichens Obfrau der "Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen".

Fragen an Frau Mag.a Andrea Birbaumer – Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen (GkPP)

  • Die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wesentliche Faktoren für den Erfolg eines Unternehmens. Wie sehen Sie das als Vertretung der Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen? Können Sie uns ein Beispiel aus der Praxis nennen, wie Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen dazu beitragen können?

Wie schon in der Frage angesprochen, gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Gesundheit, Motivation und Leistung. A&O-Psycholog:innen arbeiten hier immer auf mehreren Ebenen, zum einen muss am Verhalten angesetzt werden, zum anderen ist aber gerade in der A&O-Psychologie die Verhältnisorientierung unerlässlich. Im Optimalfall sind Verhaltens- und Verhältnisorientierung eng verschränkt und ergänzen einander gegenseitig. Wir konstatieren immer noch die wesentlich stärkere Betonung der körperlichen Gesundheit (bspw. Fragen der Ergonomie oder der Bildschirmarbeit etc.). Wir wissen aber alle, welchen Einfluss psychische Gesundheit auf alle Lebens- und Arbeitsbereiche hat. Die Erhaltung und Förderung der Gesundheit kann nicht ohne psychische Gesundheit gedacht werden! Die Einflussfaktoren sind vielfältig – je nach Eingangsanalyse kann an „verschiedenen Rädchen gedreht werden“. Die A&O-Psychologie arbeitet sowohl in der Gesundheitsförderung als auch in der Evaluierung psychischer Belastungen mit unterschiedlichen Maßnahmen und Konzepten. Aus der praktischen Erfahrung sind mangelnde Mitarbeiter:innenzufriedenheit, mangelnde Motivation und Leistungsfähigkeit oftmals auf Kommunikations- und Informationsprobleme (Informationsflüsse) zurückzuführen und vor allem auf nicht optimales Führungsverhalten. In vielen Unternehmen wird zu wenig Augenmerk auf Fairness und Wertschätzung gelegt. Psychische Gesundheit hat auch wesentlich mit psychologischer Sicherheit zu tun, die nur in einem wertschätzenden Klima entstehen kann. Als gesichert gelten kann der hohe Stellenwert von Partizipation. Nur wenn Mitarbeiter:innen in Veränderungsprozesse eingebunden sind, sind diese in der Regel tragfähig. A&O-Psychologie ist also auch immer mit einem „Auge“ bei der Organisationsentwicklung und der organisationalen Kultur. Wenn ich die Mitarbeiter:innen aktiv einbinde, Meinungen und Vorschläge, aber auch Kritik ernstnehme und einbeziehe, wird sich nicht nur das individuelle Wohlbefinden erhöhen, sondern damit einhergehend auch die Motivation und die Bindung ans Unternehmen! Manchmal sind es kleine Veränderungen, die viel bewirken, manchmal braucht es längere Prozesse, die A&O-Psychologie ist genau dafür da, aufgrund einer fundierten Analyse auf individueller Ebene, Team- und Organisationsebene die passenden Ansatzpunkte auszumachen, die Toolbox (Workshops, (Führungs)-Coaching, Veränderung der Arbeitsabläufe, Kommunikationsabläufe, Meetingkultur, Feedback, Gesundheitszirkel, Arbeitszeitmodelle und vieles mehr) zu konsultieren und die hoffentlich richtigen nächsten Schritte zu setzen.

  • Welche Bedeutung hat der demografische Wandel, insbesondere die Überalterung der Gesellschaft, sowie die zunehmende Digitalisierung der Arbeitsprozesse für die Aktivitäten von Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen? Inwiefern haben sich die Aufgaben der Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen in den letzten Jahren verändert?

Der demografische Wandel hat für die Arbeitswelt enorme Bedeutung. Auffallend in den Unternehmen ist die teilweise Ratlosigkeit im Umgang mit den unterschiedlichen Ansprüchen der Generationen: Das Pendel schlägt in die Extreme aus. So werden jungen Arbeitnehmer:innen z.B. flexible Arbeitszeiten, 100% Homeoffice und Klimaticket angeboten, um sie zu gewinnen, andererseits ist das Gegenteil genauso anzutreffen, ein Beharren auf dem Status quo nach dem Motto: Bei uns sind die Arbeitsbedingungen so wie sie sind, da wird nichts geändert, das ist so in der Branche – beide Umgangsweisen lassen eine differenzierte Betrachtung der Bedürfnisse, Anforderungen und Anreize nicht wirklich zu. Sie bedienen vielmehr das „Schubladendenken“, das ja medial durchaus präsent ist: Die Babyboomer haben Leistung gebracht, wollten arbeiten, die Gen Z ist faul und will nur Freizeit – Diese Pauschalisierungen sind zwar falsch, machen aber ein Problem deutlich: die Babyboomer gehen in Pension und es kommen zu wenige junge Arbeitskräfte nach. Als A&O-Psycholog:innen sehen wir uns immer wieder mit mangelnder Konzeptentwicklung und Planung für die Zukunft seitens der Unternehmen konfrontiert. Wir orten vermehrt Beratungsbedarf in Richtung Stressbewältigung, Arbeitsklima und Dialog zwischen Alt und Jung, Führung und Mitarbeiter:innen. Eine differenzierte Betrachtung von Diversität (nicht nur ältere und jüngere Arbeitnehmer:innen) und Einbeziehen der unterschiedlichen Skills auch in Team- und Firmenkultur wäre dringend notwendig. Die Unternehmen stehen gegenwärtig vor einem „großen Berg“ an Anforderungen: Diversität, digitale Transformation, dislozierte Arbeitsformen, Veränderungen am Arbeitsmarkt und einem Arbeitsbegriff im Wandel. Im Rahmen der EU-OSHA veranstalten wir am 22. November eine Tagung zu eben diesen „neuen“ Anforderungen – hier werden wir auch einen Entwurf einer Schärfung der Evaluierungskriterien zu „Digitalisierung im Kontext der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen“ vorstellen, um genau diesem Wandel Rechnung zu tragen. Digitale Transformation steht in enger Wechselwirkung mit organisationalen Fragen, die seit jeher ein Kerngebiet der A&O-Psychologie darstellen. Provokant gesagt: Digitale Transformation ist keine Softwareschulung, sondern bedeutet Veränderung in Arbeitsabläufen und Organisationskultur. Themen, mit denen wir als A&O-Psycholog:innen vermehrt konfrontiert sind, sind neben den ausgeführten konkret die Beschäftigung mit der Zukunft des Generationenvertrags und das große Problem der Fluktuation – so gibt inzwischen einige Unternehmen, die Bleibegespräche mit ihren Mitarbeiter:innen führen und/oder mit Buddysystemen arbeiten – hier gibt wirkungsvolle neue Ansätze, allerdings mit Luft nach oben.

  • Welche inhaltlichen Tätigkeiten umfasst die Betreuung durch Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen im Betrieb? Welche Leistungen werden den Unternehmen konkret angeboten?

A&O-Psychologie arbeitet immer auf allen drei Ebenen Analyse – Maßnahmen – Evaluation und hat eine ganzheitliche Sicht auf die Unternehmensprozesse vom Individuum (Gesundheitsbildung, Coaching, Training etc.) über die Organisation (gesunde Führung, Integration von Gesundheitsförderung in das Zielsystem des Unternehmens etc.) hin zu den Arbeitsbedingungen (Ergonomie, Arbeitsorganisation etc.) und Umwelt (Familienfreundlichkeit, soziale/unternehmerische Verantwortung etc.). Für diese Herangehensweise haben wir ein breites Angebot und einen umfangreichen Koffer an Tools, die je nach Bedarf und Problemanalyse einsetzbar und maßgeschneidert anwendbar sind. Das reicht vom Evaluierungsprozess bis zum Führungscoaching, beinhaltet Personalentwicklung, BGF, Organisationsentwicklung uvm.

  • Wo sehen Sie als GkPP Anknüpfungspunkte zwischen der Tätigkeit als Arbeits- & Organisationspsychologin und -psychologe und dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement?

BGM ist aus unserer Sicht eine ganzheitliche Herangehensweise, Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen, zu unterstützen, zu begleiten, um Strukturen und Prozesse, die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Organisation und Verhalten in die betriebliche Praxis zu integrieren. Zentral ist auch, dass dies den Beschäftigten wie dem Unternehmen gleichermaßen zugutekommt. Im Sinne eines Gebens und Nehmens. Aus unserer Sicht hat das vorausschauende Koordinieren und Steuern von Strukturen und Prozessen im Kontext des BGM entscheidende Bedeutung. Die A&O-Psychologie arbeitet genau nach diesem Ansatz eines umfassenden Prozesses des Analysierens, Strukturierens sowie Entscheidens.

  • Wie kann es aus Sicht der GkPP gelingen, die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure im Betrieb im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements weiter zu stärken?

Klare, einfache Antwort: Dort wo es Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Expert:innen gibt, funktioniert sie in den meisten Fällen sehr gut – die verschiedenen professionellen Herangehensweisen ergänzen sich, und davon profitieren Betriebe und Mitarbeiter:innen. Allerdings fehlt immer noch die Gleichstellung der A&O-Psychologie mit den anderen Präventivfachkräften, Arbeitsmediziner:innen und Sicherheitsfachkräften im ASchG. Aus unserer Sicht muss hier auf gesetzlicher Ebene dringend nachgezogen werden – nur so kann eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe gewährleitet werden. Im ASchG nimmt das Thema psychische Belastung mittlerweile großen Raum ein, was zu begrüßen ist, allerdings fehlt die verpflichtende Einbindung der A&O-Psychologie als Expert:innen für die Psyche! Bei physischen Erkrankungen werden ja Mediziner:innen herangezogen und nicht Maschinenbauer:innen. Für psychische Probleme/Belastungen etc. ist die Expertise ausschließlich bei Psycholog:innen zu finden. Die A&O-Psychologie muss aus unserer Sicht also als dritte Präventivkraft im ASchG verankert werden und für die Evaluierung psychischer Belastungen verpflichtend hinzugezogen werden.

Herzlichen Dank für das Interview!