Fragen an Herrn Ao.Univ.-Prof. Dr. Paul Jiménez – Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP)
Die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wesentliche Faktoren für den Erfolg eines Unternehmens. Wie sehen Sie das als Vertretung der Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen? Können Sie uns ein Beispiel aus der Praxis nennen, wie Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen dazu beitragen können?
Der Erhalt der Gesundheit ist eine entscheidende Grundlage für die Leistungsfähigkeit und den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Arbeit muss heute so gestaltet sein, dass die Gesundheit der Mitarbeitenden nachhaltig gesichert bleibt – körperlich wie psychisch. Seit der Novellierung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) im Jahr 2013 wird der psychischen Gesundheit ein noch stärkerer Fokus gewidmet. Die moderne Arbeitswelt fordert, dass Mitarbeitende mehr Verantwortung übernehmen und autonomer arbeiten. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen sind Expert:innen in der Analyse und Optimierung von Arbeitsprozessen. Sie unterstützen Unternehmen dabei, ein förderliches Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Mitarbeitende motiviert werden, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Indem sie Barrieren erkennen, die die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, tragen sie entscheidend zur Effizienz und zum Wohlbefinden der Belegschaft bei. Unternehmen, die präventiv psychische Belastungen angehen, profitieren von deutlich geringeren Fehlzeiten. Studien zeigen, dass psychische Erkrankungen eine der häufigsten Ursachen für längere Ausfälle sind. Präventive Maßnahmen senken das Risiko langfristiger Erkrankungen und die damit verbundenen Kosten erheblich. Zufriedene und gesunde Mitarbeitende sind nicht nur produktiver, sondern auch loyaler. Unternehmen, die in die psychische Gesundheit investieren, werden als attraktive Arbeitgeber:innen wahrgenommen und können die Mitarbeiter:innenfluktuation deutlich verringern.
Welche Bedeutung hat der demografische Wandel, insbesondere die Überalterung der Gesellschaft, sowie die zunehmende Digitalisierung der Arbeitsprozesse für die Aktivitäten von Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen? Inwiefern haben sich die Aufgaben der Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen in den letzten Jahren verändert?
Der Wandel in der Arbeitswelt, geprägt durch demografische Entwicklungen und technologische Veränderungen, erfordert eine immer differenziertere Analyse und Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Faktoren wie zunehmender Arbeitsdruck, Zeitknappheit, hoher Wettbewerbsdruck, Digitalisierung und die verstärkte Ausrichtung auf Dienstleistungen setzen Unternehmen und Mitarbeitende gleichermaßen unter Druck. Gleichzeitig nimmt die Vielfalt der Belegschaft stetig zu. Für viele Beschäftigte bedeutet dies eine steigende Arbeitsintensität und -komplexität sowie einen ständigen Qualifizierungsdruck. Hinzu kommen der demografische Wandel und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die oft im Widerspruch zur tatsächlichen Gesundheit vieler Beschäftigter stehen. Diese zunehmend belastenden Arbeitsbedingungen führen vermehrt zu körperlichen und psychischen Erkrankungen. Der Bedarf an kompetenter Beratung und gezielter Gestaltung psychisch gesunder Arbeitsplätze wächst daher stetig. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen leisten hier einen wesentlichen Beitrag, um Arbeitsbedingungen zu schaffen, die nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten schützen, sondern auch langfristig den Erfolg des Unternehmens sichern.
Welche inhaltlichen Tätigkeiten umfasst die Betreuung durch Arbeits- & Organisationspsychologinnen und -psychologen im Betrieb? Welche Leistungen werden den Unternehmen konkret angeboten?
Die Betreuung durch Arbeits- und Organisationspsycholog:innen im Betrieb umfasst ein breites Spektrum an Leistungen, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen und maßgeschneiderte Lösungen für Unternehmen bieten. Eine zentrale Aufgabe ist die Analyse der Arbeitsumgebung, insbesondere die Evaluierung psychischer Belastungen gemäß dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG). Diese Analyse liefert wertvolle Einblicke in potenzielle Risiken und eröffnet gleichzeitig zahlreiche Chancen, um betriebliche Abläufe zu optimieren und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu steigern. Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld ist die Unterstützung von Führungskräften und Teams. Hier bieten Arbeits- und Organisationspsycholog:innen Coachings an, die darauf abzielen, Führungskompetenzen zu stärken, Konflikte zu lösen und die Zusammenarbeit im Team zu verbessern. Ein Beispiel hierfür wäre die Durchführung von Workshops zur Teamentwicklung, in denen Kommunikationsfähigkeiten gestärkt und ein gemeinsames Verständnis für die Zusammenarbeit geschaffen werden. Diese Maßnahmen fördern nicht nur den Zusammenhalt, sondern auch die Produktivität und Kreativität innerhalb des Teams. Auch die individuelle Beratung und Unterstützung von Mitarbeitenden gehört zum Leistungsspektrum. Dies kann von der Begleitung in schwierigen Lebens- oder Arbeitssituationen bis hin zu Kriseninterventionen reichen. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen bieten Unternehmen umfassende Unterstützung in den Bereichen Risikoerkennung und -bearbeitung, Gesundheitsförderung, Mitarbeiterentwicklung und Organisationsoptimierung. Unternehmen profitieren von einer verbesserten Arbeitsatmosphäre, leistungsfähigeren und zufriedeneren Mitarbeitenden sowie einer höheren Wettbewerbsfähigkeit.
Wo sehen Sie als BÖP Anknüpfungspunkte zwischen der Tätigkeit als Arbeits- & Organisationspsychologin und -psychologe und dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement?
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) bietet Unternehmen eine hervorragende Möglichkeit, ihr Engagement für die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden sichtbar zu machen. Es fördert nicht nur die physische und psychische Gesundheit der Belegschaft, sondern stärkt auch die Unternehmenskultur durch ein gemeinschaftliches Miteinander. Studien zeigen, dass solche Maßnahmen zu höherer Mitarbeiter:innenbindung und gesteigerter Loyalität führen können. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen bringen durch ihre umfassende und wissenschaftlich fundierte Ausbildung wertvolles Fachwissen in das BGM ein. Sie sind Expert:innen darin, belastende Arbeitsbedingungen zu identifizieren und zielgerichtete, nachhaltige Maßnahmen zu entwickeln, die die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden langfristig sichern. Ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem alle Beteiligten im Betrieblichen Gesundheitsmanagement eng zusammenarbeiten – von der Geschäftsführung über Personalabteilungen, allen Präventivfachkräften und Gesundheitsfachkräften bis hin zu den Mitarbeiter:innen – garantiert, dass die Maßnahmen effektiv und nachhaltig umgesetzt werden. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen sind dabei ideale Partner, um sicherzustellen, dass sowohl das Wohl der Mitarbeitenden als auch die betrieblichen Ziele im Einklang stehen. Unternehmen, die in ein solides BGM investieren, profitieren von geringeren Fehlzeiten, einer höheren Produktivität und einer attraktiveren Arbeitgeber:innenmarke.
Wie kann es aus Sicht des BÖP gelingen, die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure im Betrieb im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements weiter zu stärken?
Arbeitssicherheit ist Teil von BGM und das ASchG nennt in seiner aktuellen Fassung nur zwei Akteur:innen explizit mit klar definierten Rollen. Dennoch haben sich Arbeits- und Organisationspsycholog:innen in der Praxis bereits erfolgreich etabliert und bringen ihre spezifischen Kompetenzen wertvoll in das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) ein. Die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen – insbesondere mit Arbeitsmediziner:innen und Sicherheitsfachkräften – hat sich in vielen Unternehmen als äußerst produktiv erwiesen und kontinuierlich weiterentwickelt. Eine Studie von Glaser et al. unterstreicht bereits 2015 die Bedeutung dieser Zusammenarbeit. Die befragten Fachkräfte aus der Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit sprachen sich klar für eine stärkere Verankerung der Arbeits- und Organisationspsychologie im ASchG aus. Alle drei Berufsgruppen betonen, dass eine enge Kooperation untereinander ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Prävention von arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken ist. Darüber hinaus kann die gemeinsame Gestaltung von Präventionsprojekten ein wirksames Mittel sein, um die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur:innen zu fördern. Durch interdisziplinäre Teams, die gemeinsam Gesundheitsförderungsmaßnahmen entwickeln und umsetzen, können Synergien geschaffen und die Effektivität des BGMs deutlich gesteigert werden. Workshops und regelmäßige Austauschplattformen zwischen den beteiligten Fachkräften sind ebenfalls sinnvoll, um den Wissenstransfer zu fördern und die Zusammenarbeit kontinuierlich zu verbessern. So wird nicht nur die Gesundheit der Mitarbeitenden langfristig gesichert, sondern auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gestärkt.
- • Was ist aus Sicht des BÖP erforderlich, um die Sicherheit und Gesundheit in Betrieben aller Größen und Branchen in Österreich zu verbessern? Welchen Beitrag kann das Betriebliche Gesundheitsmanagement dazu leisten?
Der Aspekt der Sicherheit ist in vielen Betrieben bereits vorbildlich gelöst, jedoch wird die Bedeutung der psychischen Gesundheit oft noch unterschätzt. Dabei spielt gerade dieser Bereich eine zunehmend wichtige Rolle, insbesondere im Kontext der sich wandelnden Arbeitswelt und der fortschreitenden Digitalisierung. Diese Entwicklungen bedeuten nicht, dass der Mensch in den Arbeitsprozessen weniger wichtig wird – im Gegenteil: Die Anforderungen an die Mitarbeitenden steigen, und damit wird auch ihre psychische Gesundheit immer entscheidender für den Erfolg eines Unternehmens. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Es vereint ArbeitnehmerInnenschutz, Betriebliche Gesundheitsförderung und Betriebliches Eingliederungsmanagement in einem ganzheitlichen Ansatz. Ein entscheidender Vorteil des BGMs ist der partizipative Ansatz: Mitarbeitende werden aktiv in den Gestaltungsprozess eingebunden, dies steigert nicht nur ihre Motivation, sondern auch das Bewusstsein für eine umfassende Sicht auf Gesundheit. Für Unternehmen stellt der betriebswirtschaftliche Nutzen einen starken Anreiz dar, in das BGM zu investieren. BGM ermöglicht den Aufbau einer Unternehmenskultur, die auf Prävention setzt und frühzeitig Maßnahmen ergreift, um gesundheitlichen Belastungen vorzubeugen. Um die Sicherheit und Gesundheit in Betrieben aller Größen und Branchen in Österreich weiter zu verbessern, ist es entscheidend, den Stellenwert der psychischen Gesundheit stärker zu betonen und BGM als strategisches Instrument in Unternehmen zu verankern.
Herzlichen Dank für das Interview!